„Das Mentoring ist ein wertvoller Schatz“
Hülya Derrien ist Lehrerin für Deutsch, Spanisch und Deutsch als Zweitsprache am Louise Weiss Gymnasium im Hamburger Stadtteil Hamm. Sie betreut zudem als Koordinatorin das Projekt WEICHENSTELLUNG für Zuwandererkinder und -jugendliche und WEICHENSTELLUNG für Ausbildung und Beruf an ihrer Schule. Im Interview berichtet sie aus der Zeit der Schulschließung, von der schrittweisen Öffnung des Unterrichts und der Rolle der WEICHENSTELLUNG-Mentor:innen und des Mentorings in Zeiten von Corona.
Frau Derrien, wie war der erste Tag nach der Schulschließung?
Ohne Schüler und mit nur wenigen Kollegen – das war ein seltsames Gefühl! Eigentlich ist der Schulalltag voller Leben, es ist laut und hektisch, es wird diskutiert, gestritten, gespielt und gelacht. Und dann war es plötzlich still. Kein schöner Moment. Daher habe ich mich sehr gefreut, wieder regelmäßig zur Schule zu dürfen als der erste Präsenzunterricht im Mai startete. Mit halbierten Klassen zwar und erst einmal nur in den Hauptfächern, aber immerhin.
Es war einfach schön, meine Schülerinnen und Schüler wieder zu sehen – und umgekehrt! Die meisten haben die Schule sehr vermisst und in dieser Zeit gelernt, sie wirklich wertzuschätzen. Nicht alles selbstständig zu Hause bewältigen zu müssen, einen direkten Ansprechpartner und Zeit zum Lernen zu haben und natürlich die Freunde sehen zu können. Und auch Deutsch zu sprechen, denn gerade bei den Kindern in den Internationalen Vorbereitungsklassen wird im häuslichen Umfeld meist kein Deutsch gesprochen.
Wie war es für Sie als Lehrerin, komplett auf Fernunterricht umzustellen?
Zu Anfang war es schon eine Herausforderung sich auf digitales Lernen einzustellen und sich mit den verschiedenen Plattformen und Möglichkeiten auseinander zu setzen. Nach etwa einer Woche hatte ich mich dann aber daran gewöhnt. Woran ich aber nicht gewöhnen konnte war, die Schülerinnen und Schüler nicht zu sehen. Der persönliche Kontakt fehlte, dabei ist er unersetzlich. Die Kinder und Jugendlichen sind deutlich offener und zugänglicher, wenn man ihnen direkt gegenübersteht, stellen mehr Fragen, sind besser bei der Sache. Das hat sich in der Zeit noch einmal deutlich gezeigt.
Wie haben Sie zu Anfang den Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern aufgenommen und den Fernunterricht organisiert?
Wir haben alle Schülerinnen und Schüler angerufen und auch Kontakt zu den Eltern gesucht. Bis man dann mit dem tatsächlichen Fernunterricht anfangen konnte, hat es natürlich gedauert, alle mussten sich erst einmal umstellen und organisieren. Zudem war es nicht selbstverständlich, dass Internet und Computer verfügbar waren.
Aber wir hatten mit allen mehrmals die Woche Kontakt: im Klassenrat und im täglichen Onlineunterricht, oder auch telefonisch, wenn online nicht möglich war. Zusätzlich haben meine Klassenlehrer-Teampartnerin und ich den persönlichen telefonischen Kontakt zu jeder Schülerin und jedem Schüler gesucht. Das war wichtig, denn in der Gruppe sagen sie oft nicht alles, was sie beschäftigt. Über diesen individuellen Austausch konnten wir dagegen einen Eindruck gewinnen, wie es ihnen wirklich geht, ob zu Hause alles gut läuft oder ob man einzelne Kinder doch in die Notbetreuung holen sollte, um ihnen Zeit zum Lernen zu geben.
Welche Rolle spielte WEICHENSTELLUNG in dieser Zeit?
WEICHENSTELLUNG spielte eine sehr große Rolle – das Mentoring ist gerade jetzt ein wertvoller Schatz. Während Schulschließung und Fernunterricht waren die Mentorinnen und Mentoren eine große Stütze und haben sehr eng mit den Mentees zusammengearbeitet. Sie sind wichtige Bezugspersonen für ihre Mentees und gerade diese persönliche Beziehungsebene ist von großer Bedeutung.
Aber natürlich war es auch für die Studierenden anfangs schwer. Sie mussten nicht nur ihren eigenen nun virtuellen Studienalltag organisieren, sondern tragen auch noch die Verantwortung für andere. Daher habe ich als Projektkoordinatorin bei uns an der Schule direkt zu Beginn der Schulschließung alle persönlich kontaktiert. Gemeinsam haben wir individuelle Lösungen für die verschiedenen Situationen entwickelt. Ein wichtiger Baustein war zudem die Supervision, die wir virtuell fortgeführt haben. Mit Hilfe eines digitalen Boards, einer Art virtuellem schwarzen Brett, konnte wir eine Austauschplattform schaffen: Hier können alle Infos einstellen, sich gegenseitig Tipps geben oder Unterrichtsmaterialien teilen. Das funktioniert sehr gut und es ist schön zu sehen, wie sich die Mentorinnen und Mentoren gegenseitig unterstützen. Alle haben einen individuellen Kommunikationsweg mit ihren Mentees gefunden und gehen auf ihre individuellen Bedürfnisse ein. Sowohl die Mentorinnen und Mentoren als auch die Mentees sind mit der Förderung in der Corona-Zeit sehr zufrieden. Es ist schön, dieses tolle Projekt bei uns an der Schule zu haben. Wir sind ein tolles Team und ich bin sehr stolz auf alle!
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich persönlich freue mich wieder auf volle Klassenzimmer, voller Leben und dass wir gemeinsam stark durch diese neue „Normalität“ gehen.
Für die Schülerinnen und Schüler wünsche ich mir, dass sie ihren Optimismus nicht verlieren. Und ich wünsche mir, dass Schule wieder ein sicherer Ort für die Kinder und Jugendlichen wird. Das ist mir wirklich sehr wichtig. Aber ich blicke dem Ganzen recht optimistisch entgegen.
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