6 Jahre WEICHENSTELLUNG - wir sagen Danke!


Ein Gespräch zwischen Reiner Lehberger, dem pädagogischen Leiter von WEICHENSTELLUNG, und unserer Mentorin Vivienne Schütt 

Rainer Lehrberger: Vivienne, Sie waren eine rekordverdächtig lange Zeit bei WEICHENSTELLUNG für Zuwandererkinder und -jugendliche. In welcher Schule und in welcher Klassenstufe haben Sie gefördert?

Vivienne Schütt: Seit April 2016 habe ich Mentees aus der ABC-Klasse 5/6 (Basisklasse*) an der Gretel-Bergmann-Schule in Allermöhe gefördert. Da ich in einem Doppelmentorat tätig war, habe ich im Laufe der Zeit insgesamt 30 Mentees betreut.

Welches waren die besonderen Herausforderungen in einer Basisklasse?

Schüler:innen, die in der deutschen Sprache nicht alphabetisiert sind, kommen zunächst in die Basisklasse. In den meisten Fällen beherrschen sie noch kaum ein Wort Deutsch, wodurch wir wirklich ganz am Anfang starten. Einige der Mentees haben traumatisierende Erfahrungen gemacht, sodass sie erst einmal ankommen und Stabilität sowie Sicherheit erfahren müssen, um sich überhaupt auf das Lernen einlassen zu können. Dadurch unterlag die Gestaltung der Förderung nicht nur den individuellen Lernständen und Fähigkeiten der einzelnen Mentees, sondern auch der Berücksichtigung ihrer grundsätzlichen Voraussetzungen und Erfahrungen. 

Wie genau haben Sie gefördert: binnen- und/oder äußere Differenzierung?

Angesichts der unterschiedlichen Vorkenntnisse in der deutschen Sprache und der verschiedenen individuellen Voraussetzungen war das gemeinsame Lernen von Heterogenität gekennzeichnet, wodurch individualisierte Lernangebote geschaffen werden mussten und die Förderung damit immer binnendifferenziert – das heißt angepasst auf die individuellen Voraussetzungen der einzelnen Mentees – stattfand. Entweder in der Klasse selbst oder im Einzel- und Kleingruppenunterricht.

Hat die Kooperation mit der Klassenleitung geklappt?

Ja, sehr gut. Den ständigen Dialog mit der Klassenlehrkraft habe ich immer als besonders wertvoll wahrgenommen. Wir standen in engem Kontakt und tauschten uns wöchentlich über die Mentees und die Lerninhalte aus. Mit Problemen konnte ich immer auf die Klassenleitung zugehen, die mir hilfsbereit zur Seite stand.

Wie war es in den Monaten des Lockdowns?

Trotz der allgemeinen anfänglichen Ungewissheit stand ich durchgängig im Kontakt mit den Mentees. Am Anfang war es insbesondere der Austausch darüber, wie es ihnen in der Situation ergeht sowie das „Verstehen“ der Situation. Danach haben die Klassenlehrerin und ich gemeinsam „Lernpakete“  geschnürt und ich habe mich mit Mentees zu Telefonaten oder Lernspaziergängen verabredet. Wir haben also zunächst analoge Angebote entwickelt, um sie auch weiterhin zu fördern. Am Ende lief dann die regelmäßige wöchentliche Onlineförderung einwandfrei.

Wovon haben Ihre Schüler:innen durch Ihre Förderung besonders profitiert?

Ich denke, dass die Mentees besonders durch die enge Betreuung in der Einzel- oder Kleingruppenförderung fachlich profitierten, da wir eben schrittweise gemeinsam ihren individuellen Fähigkeiten angepasst lernen konnten und sie immer offen sagen konnten, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Darüber hinaus wurden die gemeinsamen Kulturausflüge von den Mentees besonders gut angenommen. Nachdem wir gemeinsam unterwegs waren, kam direkt die Frage auf, wann wir den nächsten Ausflug machen. Ich denke, dass diese gemeinsamen Treffen den Mentees auch außerhalb der Schule Stabilität gegeben haben.

6 Jahre haben Sie an der Schule für WS gearbeitet. Haben Sie auch mal schon früher ans Aufhören gedacht?

Nein. Der Gedanke, dass ich nun Ende dieses Jahres tatsächlich aufhöre, stimmt mich ehrlicherweise etwas traurig.

Wodurch haben Sie selbst am meisten profitiert?

Über die vielen Jahre im Projekt konnte ich nicht nur für meinen zukünftigen Beruf als Lehrerin eine Menge Erfahrung sammeln, sondern habe auch auf zwischenmenschlicher Ebene viel dazu gelernt. In meiner Rolle als Mentorin habe ich mich persönlich weiterentwickelt und bin dankbar für das Vertrauen, welches mir entgegengebracht wurde.

Was würden Sie neu startenden Mentor:innen raten?

Ich würde neu startenden Mentor:innen raten, sich selbst und den Mentees gegenüber offen zu sein, Spaß am Lernen zu vermitteln und unbedingt in den Austausch mit anderen Mentor:innen zu gehen. Alles andere regelt sich von alleine ????

Gibt es noch Kontakte zu Mentees aus der ersten Förderungsphase?

Ja, mit einigen Mentees habe ich bis heute noch Kontakt. Vor kurzem habe ich zum Beispiel mit einer von ihnen telefoniert, da sie mir von ihrer neuen Praktikumsstelle erzählen wollte.

Welche drei Stichworte fallen Ihnen abschließend zum Mentoring-Programm WEICHENSTELLUNG ein?

  1. Gegenseitige Wertschätzung, Vertrauen und Zuverlässigkeit,
  2. Gemeinsam Spaß beim Lernen haben,
  3. Mentees fachlich und sozial bestärken.

 

Liebe Vivienne, ich danke Ihnen für das Gespräch und vor allem für Ihr großes Engagement im Mentoring-Programm WEICHENSTELLUNG. Auch für uns war die Zusammenarbeit mit Ihnen ein großer Gewinn.

*Kinder und Jugendliche, die bisher noch nicht oder in einer anderen Sprache alphabetisiert wurden, erwerben in der Basisklasse Lese- und Schreibkompetenzen. Die Schüler:innen haben alle Migrationserfahrungen, die sich individuell ebenso stark unterscheiden wie die bisherigen Lern- und Bildungsbiographien.


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