Interview: „Mentoring ist wichtiger denn je!“

Dr. Tatiana Matthiesen im Interview mit Stifter TV

Beim Mentoring spielt der persönliche Kontakt eine besondere Rolle – Beziehungsarbeit, individuelle Betreuung und Vertrauen sind ausschlaggebend für den Erfolg eines Programms wie WEICHENSTELLUNG. Daher war es eine große Herausforderung für alle Beteiligten, das Mentoring-Programm während der Corona-Pandemie erfolgreich fortzusetzen und auf die veränderten Bedürfnisse anzupassen. Was brauchen die Mentees, mit welchen Hürden haben sie es zu tun? Wie können Mentor:innen unterstützen? Welche Kommunikationswege funktionieren am besten? Wie gelingt die enge Abstimmung mit Schulen und Lehrkräften?

Diese und andere Fragen beleuchtet Dr. Tatiana Matthiesen, Gesamtkoordinatorin von WEICHENSTELLUNG, im Interview mit Stifter TV.

Partner stehen fest an der Seite von WEICHENSTELLUNG

„Wir leben in einer sehr spannenden und herausfordernden Zeit“, sagt Tatiana Matthiesen. „Aber ich bin glücklich, dass wir in der ZEIT-Stiftung den Schalter sehr schnell umlegen konnten.“ So konnte das WEICHENSTELLUNG-Team voll funktionsfähig agieren und das Projekt weiter vorantreiben. Alle Beteiligten seien an Bord geblieben: Mentor:innen, Mentees, Partnerschulen und Förderer. „Die Partner sind das Wichtigste, sie vertrauen uns und haben die Förderung fortgesetzt“, betont Matthiesen. „Dafür möchte ich einfach mal herzlichen Dank sagen!“

Neue Wege in der Pandemie-Zeit

Trotz der neuen Herausforderungen, die das WEICHENSTELLUNG-Team aufgrund der Corona-Pandemie bewältigen musste, haben sich die Ziele der Bildungsinitiative nicht verändert: Es geht um Chancengerechtigkeit und Bildungsgleichheit. Dennoch galt es für die Beteiligten aller drei Bausteine neue Wege finden. Ein zentraler Grundpfeiler des Mentorings ist die persönliche Begegnung, das gemeinsame Erleben – und dieser kann aktuell nicht mehr so stattfinden wie vorher. Es etablierten sich neue Kommunikationswege, vom klassischen Brief über das Telefon und Chats bis hin zu Videokonferenzen. „Wir sind nah beieinander, aber durch andere kommunikative Formen“, so Matthiesen.

WEICHENSTELLUNG, eine Initiative der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, umfasst zwei Arten der Unterstützung: Zum einen die fachliche Förderung, zum anderen die persönliche Begleitung auf Basis einer stabilen Mentor-Mentee-Beziehung. In vielen Fällen hilft dieses Vertrauensverhältnis, um die Mentees in der aktuellen, für viele schwierigen Lage zu unterstützen und an ihrer Seite zu stehen.

Technische Ausstattung besser als erwartet

Zu Beginn der Schulschließung hat das WEICHENSTELLUNG-Team mit jedem Mentor und jeder Mentorin gesprochen um herauszufinden, wie gut die Mentees erreichbar sind und wie sich der Kontakt organisieren und sicherstellen lässt. Das Ergebnis war erfreulich: Fast alle sind mit mobilen Endgeräten ausgestattet. Computer oder Drucker, zum Beispiel um die Schulaufgaben zu bearbeiten, waren dagegen eher Mangelware. Dies bestätigt auch die Umfrage des Zentrums für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln, unserem WEICHENSTELLUNG-Partner in NRW.

Dennoch gab es auch einzelne, bei denen diese Grundvoraussetzung nicht gegeben waren. Davon berichtet unsere Mentorin Jessica Bernauer aus dem Baustein WEICHENSTELLUNG für Ausbildung und Beruf.

Durch den Wegfall der Schule verloren viele auch die klare Struktur im Alltag

Schule, Unterricht und Hausaufgaben sorgte bei den Kindern und Jugendlichen für einen geregelten Ablauf. Nach den Schließungen fehlte dies und häufig waren es die Mentor:innen, die den Mentees halfen, sich selbst eine Struktur zu geben. Viele sind dafür sehr dankbar, wie Özgür, Vater eines Mentees im Programm WEICHENSTELLUNG für Viertklässler in Köln, berichtet.

Neue Art der Förderung

Auch die Förderarbeit musste neu strukturiert werden. Vor der Schulschließung bewegte sich das Mentoring durch WEICHENSTELLUNG in einem festen Rahmen: Es gab die fachliche Förderung in der Schule, zu festen Zeiten, und die regelmäßigen gemeinsamen Kulturausflüge. Die Mentor:innen konnten anhand des Unterrichts, an dem sie regelmäßig teilnahmen, den Förderbedarf gut ermitteln. Nun können sie den Mentees nur das Unterstützungsangebot machen und fragen, wo Hilfe benötigt wird. Das zeigt auch die Geschichte von unserer Mentorin Anna Czazkowski aus dem Baustein WEICHENSTELLUNG für Ausbildung und Beruf.

Vor besonderen Herausforderungen stehen die Sprachlerner. Hier fungierten die Mentor:innen häufig als Übersetzer, erklärten die Situation und halfen bei Verunsicherungen.

Selbstwirksamkeit und Resilienz – zwei zentrale Faktoren

„Die Inhalte und die Art der Förderung haben sich verändert, aber das Mentoring ist wichtiger als je zuvor“, sagt Matthiesen. Von großer Bedeutung sei zudem die Selbstwirksamkeit: wie kann ich mir eine eigene Struktur geben, mich selbst motivieren. „Das wird zukünftig bei WEICHENSTELLUNG eine noch größere Rolle spielen.“ Das gleiche gelte für die Resilienz, also die eigene Widerstandsfähigkeit. Die WEICHENSTELLUNG-Mentees haben häufig bereits viele Hürden in ihrem Leben überwinden müssen, viele haben Fluchterfahrung hinter sich. In Deutschland fühlten sie sich sicher und hatten große Hoffnungen. Nun müssen sie erneut mit einer unbekannten Situation und allen Zukunftsängsten, die diese mit sich bringt, umgehen. Daher ist die Resilienzförderung, also die Unterstützung der inneren Stärke und Widerstandsfähigkeit sowie des positiven Denkens, ein wichtiger Aspekt bei den WEICHENSTELLUNG-Zielgruppen. Bei WEICHENSTELLUNG für Ausbildung und Beruf in Köln ist die Resilienzförderung ein fester Baustein des Programms. Wie wichtig diese gerade aktuell ist erklären Dr. Karla Verlinden, Professorin der Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Resilienz an der Katholischen Hochschule NRW, und Miriam Neuser, Projektkoordinatorin für WEICHENSTELLUNG für Ausbildung und Beruf in Köln im Videogespräch.

WEICHENSTELLUNG in der Zukunft

„Wir haben innerhalb der Corona-Pandemie neue Erfahrungen gesammelt, die uns nach vorn bringen im Hinblick auf die Inhalte, Konzepte und Formate bei WEICHENSTELLUNG“, sagt Matthiesen. „Vielleicht gibt es in Zukunft Mentoring als Mischform aus analogen und digitalen Bausteinen. Und das kann sehr spannend sein.“


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